Liedfett 04.04.2024

Na dann mal wieder Richtung westliches Ringgebiet. Also ab auf das Rad und los, dem Sonnenuntergang entgegen. Na, das ganz leicht dröppeln kann mich ja nicht davon abhalten, mal wieder etwas aus der Komfortzone heraus zu kommen. Das Ziel der etwas stürmischen Anreise war ein Konzert aus der Feder unserer lokalen Veranstaltungsagentur undercover, die am 4.4.2024 ins westand Event & Kultur rief.

Am vierten ging es also ins westand Event & Kultur und zwar zu den mir nur namentlich bekannten LIEDFETT. Das Erste, was mir auffiel, dass scheinbar hier ein Konzert auf mich wartet, das nicht nur alle Alter anspricht, sondern auch sehr viel mehr Damen, als ich es bei meinem Konzertgeschmack gewohnt bin.

Erstes kaltes Bier und eine frische Brezel und der Abend konnte losgehen. Der Abend begann dann mit etwas Unerwarteten. Mit Deutschpop. Handgemacht und solo vorgetragen, so dachte ich bis zum Ende des Gigs.

Die Vorband war ein junger Hamburger. Gleich vorweg, seine Musik war so lecker für die Ohren und die Seele, wie es ein richtig guter Hamburger für den Gaumen nur sein kann.

Marlo Grosshardt (https://www.instagram.com/marlogrosshard), spielte die Einstimmung in den Abend. Dieser sehr angenehme Zeitgenosse, der seine Gedanken schon gefühlt immer in Textform zu verewigen scheint, war so entspannt, dass man sich seine jungen Jahre immer wieder ins Bewusstsein rufen musste. Zur Erklärung, ich hatte mir das kleine Experiment erlaubt, nur seinen Namen zu notieren und mich dann auf die Empore im Westand auf die Sessel zu begeben und die Musik wirken zu lassen. Richtung Bühne geschaut sah ich nur im Klang der Musik schunkelnde Menschen und dazu eine sehr warme und schön tiefe, schmeichelnde Stimme. Die Texte waren geprägt von wie es ist, ist es halt. Mal schmerzhaft ehrlich, mal einfach direkt, aber immer Samt für die Gehörgänge.

Dann stand ich auf und schaute zum letzten Lied auf die Bühne von wegen Solo. Jung, ja, aber solo war eine Fehleinschätzung. Der Herr Grosshardt stand mit einer kleinen, aber feinen Begleitung auf der Bühne. Eine junge Dame am Cello und ein Kollege mit E-Gitarre. So wie er, nachdem ich mal geschaut hatte, wer sich da auf der Bühne befand, erwähnte er noch eine Tour, auf die er mit seiner Band gehen wird. Und ja, Band, mit Schlagzeug und allem, was dazu gehört. So sagte er. Als kleine Anekdote sei noch die sehr sympathische Schusseligkeit erwähnt. Egal, wie lange man im Showbiz ist, was vergessen kann man immer. Und sie hatten ihr Bandbanner vergessen. Aber was wäre die Jugend ohne Lösung für jegliches Problem? Sie hatten sich einfach kurzerhand auf einem Stück Pappe ein neues improvisiert. Sowas hält bekanntlich am längsten. Also ab auf eines der kommenden 18 Konzerte der Tour und nachgeschaut, ob das Pappschild geblieben ist.

Nach diesem Auftakt war ich auf LIEDFETT sehr gespannt. So im Nachhinein ist Liedfett noch abgefahrener als direkt vor Ort. Mit einem winzigen Delay begannen die Hamburger Jungs, aber mit Chanson. Na gut, dieser musikalische Ausritt in andere Gefilde endete nach Sekunden und Liedfett übernahmen den Rest des Liedes in ihrer unverwechselbaren Art. Ich habe selten erlebt, dass ein Publikum in Braunschweig nach nur einem halben Lied schon eskaliert. Liedfett scheint das richtige Schmierfett zu sein, um selbst die Braunschweiger Gelenke geschmeidig zu bekommen. Wie gesagt, war ich vermeintlich außerhalb meiner Komfortzone. Liedfett waren und sind eine absolute Liveband. Egal was die Herren im Punkgewand an Themen verarbeiteten, alles ging in die Beine und in die Hüften. Und das selbst bei mir. Ich habe natürlich mal das schwerfällige Ungetüm von Wikipedia bemüht und warum dort Akustik-Pop steht, erschließt sich mir nach diesem Konzert absolut nicht. Ein zwei kleine Anflüge von Pop, aber alles in allem, ist das grundsympathischer Punk mit deutschen Texten. Die hanseatische Eskalation hatte genauso wie deren Vorband einen Monster guten Sound. Laut, aber das war auch notwendig, um die feiernden Fans zu übertönen. Wahnsinn wie die Fans Liedfett ihre liebe zeigten und das in einer Textsicherheit und Lautstärke, dass sich die Balken bogen. Klar gab es auch die ein oder andere schräge Songeinleitung durch sehr bekannte Klassiker aus dem Pop. Vielleicht kommt daher die Genre-Beschreibung. Einiges ist wohl immer eine Weltpremiere. Am 4.4.2024 im Westand war diese Premiere ein „Stuhl“. Und just zu dieser Premiere sind mir die für mich besten, gar poetischsten Worte des Abends gesprochenen worden: „Wenn Selbstlosigkeit einen Hocker bekommt“. Der werte Herr Sänger hatte zum allerersten Mal einen eigenen „Stuhl“ auf der Bühne. OK, es war kein Stuhl, es war ein Ego-Riser. Nach diesem Abend kann ich mir gut vorstellen, dass er den als bald immer nutzen wird müssen. Denn Liedfett ist einfach fett. Ja, das sind die Worte eines älteren Menschen, aber sie kommen von Herzen und ganz tief drin. Ein Konzert dieser Nordlichter ist sicher eine komplett andere Erfahrung, als am Baggersee, deren Songs auf Spotify und Co. hören, aber ganz sicher eine unvergessliche. Live Musik, ehrlich und von Hand und mit Liebe gemacht, hebt einfach solche Musik auf das nächste Level. Ich werde kein Punker mehr, aber als Connaisseur von guter live Musik, kommen beide Bands des Abends auf meine muss ich mir nochmal anschauen Liste. Und damit, bin ich ganz sicher nicht der einzige.

undercover und das westand Event & Kultur waren beide wieder mal ein Garant für die Kulturarbeit, die eine Stadt wie Braunschweig nötig hat. Vielen lieben Dank für diesen sehr gelungenen und geilen Konzertabend.

Text: Patrick
Fotos: Fabian He

Marlo Grosshardt

Liedfett